Als ich in Italien war, gab es zwei Erlebnisse. Einerseits hatte ich eine neue Kamera dabei, über die ich eine Art Bericht schreiben will. Aus meiner Sicht des kulturell Interessierten mit erheblichen Ansprüchen, was Details und unterschiedliche Lichtverhältnisse angeht. Also ein sehr individueller Text aus einer Subjektivität heraus, die es dem Leser erlauben soll, von dort aus auf seine eigenen Bedürfnisse umrechnen zu können. Erfundenes Beispiel: Würde ich sagen: Kamera prinzipiell super, klein und handlich und unauffällig, tolle Details auch aus 40 Meter Entfernung, aber in dunklen Kirchen für meine Ansürüche als Kunsthistoriker ein Problem – dann könnte ein Strandspanner aus Jesolo sagen: Ey prima, die Knipse fällt nicht auf, damit mach ich meine Bilder für meine Internetfreunde, und Kirchen sind mir schnuppe. An diesem Text feile ich jetzt seit drei Tagen, und ich bin noch immer nicht so weit, dass er meinen Ansprüchen an meine Subjektivität und gleichzeitig an die erzielbare Objektivierung entsprechen würde. Es ist sehr, sehr schwer, das alles in Einklang zu bringen, wenn man es gut machen will und einen Nutzen für den Leser bringen soll. Was ich mir wünsche ist das, was mir bei genau dieser Kamera gefehlt hat: Ein derartiger Bericht, der mir bei der Entscheidung zum Kauf ehrlich und kompetent vermittelt, was ich zu erwarten habe.

Andererseits sass ich in Italien in Internetcafes, und hatte nur wenig Zeit. In der Regel nahm ich eine Stunde, und brauchte 40 Minuten allein für das Einstellen und Kommentieren meiner eigenen Beiträge. Im verbleibenden Rest konnte ich dann das tun, was ich normalerweise arbeitsbegleitend den ganzen Tag tue: Blogs lesen. Nur diesmal eben mit einem klaren zeitlimit. Und ich musste mich entscheiden, welches Blog ich nehme, und welches ich fallen lasse. Instinkiv klickte ich nur Blogs an, die in der Regel für lange, qualitätvolle Texte stehen. Um ein paar Namen zu nennen: Modeste, Anke Gröner, Ichbinerkältet, Andrea Diener, Thomas Knüwer, Kid37, Matt Wagner. Alles kein sprachliches Junkfood, sondern wohlformulierte Einsichten in individuelle Realitäten. In diesen knappen 20 Minuten trennt sich Qualität von Geseiere.

Ich habe in Italien also die Länge gesucht und gefunden. Und wer an dieser Stelle angekommen ist, dürfte ebenfalls nicht auf der Suche nach schneller Abspeise sein. Länge, Abschweifungen, Arabesken und Verflechtungen können für viele von uns eine Qualität sein, etwas, das den Reiz der Blogs ausmacht. Nicht für alle, aber doch für die, die darin so etwas wie Vertrautheit, ein Umfeld, soziale Nähe und Kontinuität suchen. Länge und Details machen plastisch, sie vermitteln eben jene Subjektivität, die meines Erachtens gute Blogs zentral ausmacht und es erlaubt, einen Blick in andere Welten zu werfen. Was in der Folge dann auch zu Bekanntschaft führen kann, Mailverkehr, sozialen Bindungen, und dann auch auf der anderen Seite in Empfehlungen, Konsum und Kollaboration. Eben das, was die im Web2.0 verbreiteten Schlagworte vom social Commerce, smart Mobs, wiscom of the crowd und consumer generated content auszudrücken versuchen.

Hier jedoch gibt es einen Widerspruch zwischen dem, was als Beispiel präsentiert wird, und dem, was letztlich im Web2.0 daraus wird. Tolle Blogs? Wenn man über gute Beispiele redet, würde keiner auf die Idee kommen, widerliche, mit Werbung vollgeklatschter Seiten voller Gaga-Youtube-Videos anzusprechen, oder sonstige Formen des Medientrashs, der sich gar nicht so erfolglos auf Blogsoftware rumtreibt. Angesprochen werden die üblichen Verdächtigen der qualitativ hochwertig empfundenen Blogs.

Die Realität im Web2.0 ist dann eine ganz andere. Man schaue sich bitte nur mal das Beispiel der SMS-Kommunikationslösung “Twitter” an. 160 Zeichen als Kommunikation im Netz. Mit der man furchtbar auf die Schnauze fliegen kann, selbst wenn man schon ein durch diverse Peinlichkeiten vorbelasteter Blogger im Dienste einer PR-Agentur ist. Als gäbe es im Netz einen einzigen Grund, Themen nicht umfassend und angemessen abzuhandeln. Oder zumindest eine Begründung für ein Verhalten zu liefern. Aber nein, viele sind völlig hingerissen von der Kürze. Ein anderes Beispiel sind all die Nachbauten der Newssite Digg.com. Wo Nutzer lange Presseartikel zu kurzen, reisserischen Schlagzeilen umformulieren und in der Regel den Dreck mit dem knappsten Trashfaktor nach oben klicken. Oder die 1-Knopf-Bindung durch Poke- oder Gruschelfunktionen bei sozialen Netzwerken. Oder die knappste Kommunikation in deren Privatnachrichten. Oder die rudimentären Fickanbahnungen in Second Life. Oder die kurzen, knackigen Empfehlungen, die man bei “social Commerce” Portalen aussprechen soll. Oder das dumme Gesülze, das die Mehrheit der Empfehlungen bei Qype ausmacht, bei denen ich immer an einen Geschäftsmann denken muss, der in einer Stadt gelandet ist und jetzt während des Handynierens mal eben im Netz ein paar kurze Tips rauskramt, um den Ortskundigen zu geben.

Abgesehen davon, dass dies alles die individuelle Inkompetenz der Nutzer zur individuellen sprachlichen Form dukumentiert, ist an dieser Wortkotze nichts individuelles. Es zieht Millionen von Nutzern an, wie das Oktoberfest, und wie dort die umliegenden Strassen stinken und aussehen, liest sich das auch. Eine besoffene Masse von Lallköpfen, die dort hingehen, weil alle dort sind, oans zwoa und ausgschpiem. Auch das ist “sozial”. Eine Zusammenrottung, die schnell etwas zusammenschmiert, für den eigenen Vorteil, ein gewisses Prestige in einer Gruppe vielleicht oder ein paar Cent oder einen Gutschein oder was man diesen Deppen sonst vor die Nase hält. Damit sie bleiben, oder zum nächsten Anbieter weiter ziehen.

Das lohnt sich für die von Werbung abhängigen Betreiber. Für den Click, die Grundeinheit ihres Verdienstes, ist es noch nicht mal egal, ob einer drei ausgekotzte Zeilen über ein Handy liest, oder einen umfassenden Testbericht. Es ist für sie besser, wenn einer über 10 Brocken Wortkotze auf 10 verschiedenen Seiten hüpft, als sich einmal ordentlich mit einem Thema und einem langen, informativen Text auseinanderzusetzen, wie man sich das als Blogger eigentlich wünscht.

Texte in Blogs und Texte im kommerziellen Web2.0 unterscheiden sich in den Extremen wie ein Festmahl von ausgekotztem Gammelfleisch. Desto mehr sie sich annähern, desto übler für das Blog. Die Kommunikation über solche Texte in Kommentaren unterscheidet sich wie das Gespräch beim Essen und dem Gelächter der Kumpels, wenn einer an der Laterne umknickt. Wir reden hier über völlig unterschiedliche Konzepte von Sprache, und ich wage zu behaupten, dass es auch Folgen für ihre Fähigkeit hat, als Träger von Individuen, sozialen Beziehungen und in der Folge auch wirtschaftlichen Transaktionen zu fungieren. Es kann vielleicht eine Weile als Werbeplattform verwendet werden, wo Suffköppen der letzte Dreck offeriert wird, es sind die Rheumadeckenverkäufer und Call-in-Shows des Web2.0.

Aber es hat nichts mehr mit dem zu tun, was Blogs einzigartig und wichtig macht.