Ich kann mich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass der Fall des Herrn Graff von der Süddeutschen, und seiner Verachtung für Blogs bei gleichzeitigem Hochhalten angeblicher Standards seines Standes, keine Einzelerscheinung ist. In der FTD wird über den Niedergang des Journalismus geflennt – der sich die Qualitätsprobleme nun nicht gerade wegen der Blogger eingebrockt hat – und behauptet, Blogger würden explizit den Qualitätsjournalismus als überholt ansehen. Und bei der Waz lässt sich im Fall Marco W. ein Autor in einem bemerkenswert schlecht zusammengestöpselten Beitrag gar zu Folgendem hinreissen, verlinkt über einen Beitrag bei 50 Hz, mehr dazu beim Pottblog:

Schlecht gelaunte, schlecht informierte, dafür äußerst meinungsstarke Diskussionsteilnehmer nutzen die zur Kommentierung offenen journalistischen Informations-Portale und die Weblog-Tagebücher, um der Welt gehässige und justiziable Ansichten unterzujubeln.

FTD, Süddeutscher und WAZ ist eines gemein: Alle drei haben ihre eigenen Blog- und Internetprojekte mit lautem Getöse selbst gegen die Wand gefahren. Man kann irgendwie nachvollziehen, dass die Autoren frustriert sind, wenn draussen etwas klappt, was bei ihnen selbst nur dann Kommentare erhält, wenn sich die Mitarbeiter selbst die Bälle zuwerfen. Oder aber Kommentatoren auflaufen, die keine Blogger sind und sich erst mal in das Schreiben im Netz einfinden müssen. Blogs und Kommentarspalten bei Medien sind höchst unterschiedliche Dinge, wird aber aus der Sicht des Journalismus gern zusammengeworfen: Denn das ist DRAUSSEN, das sind die ANDEREN, die Kunden, die bisher die Schnauze hielten und das auch weiter tun sollen. Wenn man einen argumentativen Hammer hat, sieht jedes eigene Problem wie ein Internetnagel aus, den man einschlagen muss.

Was diese leute nicht sehen: Als die Süddeutsche Zeitung die Werbeverstrickung einer ZDF-Moderatorin aufdeckte, oder der Spiegel beim Thema StudiVZ-AGB mit einer Artikelserie das Problem exakt umriss, gab es keinen Blogger, der darüber maulte. Gemault wird dagegen über unsinnige Klickstrecken, gerne auch mit Tittenappeal, siehe die Süddeutsche und ihren heutigen Beitrag über die Amsterdammer Bordelle, gezielte Behinderung durch Klickzwang wie beim obigen
Beitrag in der FTD, dummdreiste Winterreifenspecials, Klau bei Wikipedia, falsche Darstellungen, schlampige Recherche, politische Rücksichtsnahmen, Käuflichkeit, Ahnungslosigkeit. Ich kennen keinen Blogeintrag, der mehr Titten auf Seite 3 fordert, oder mehr Society-News, mehr Doherty, Winehouse und den ganzen Trash – tatsächlich sind die meisten Blog, das sich dafür intensiv einsetzen und solche Geschichten bringen, bei Medien wie WAZ oder Burda zu finden.

Die Abwehrreaktion der Medien? Der Versuch, den Bloggern pauschal das eigene Versagen zu unterstellen, selbst wenn sie eigentlich, wie im Fall der WAZ oder FTD, nichts mit der eigentlichen Problematik zu tun haben. Blogs haben keine Boulevardthemen in die Tagesschau gebracht, und keine Kommentare bei der WAZ vollgeschmiert. Aber als Sündenbock halten sie allemal her. Und das in letzter Zeit sehr übergreifend, in sehr vielen Medien, mit Abnicke von Leuten, die theoretisch in der Lage sein sollten, mehr als ein dürftiges Schlagwort von ihren Autoren zu erwarten.

Man kann es irgendwo verstehen. Die FTD ist wirtschaftlich am Ende, die Süddeutsche wird wie eine nicht mehr ganz frische Schweinehälfte verkauft, und die WAZ hat gemessen an den Ankündigungen mit derwesten.de die Onlinepleite des Jahres hingelegt. Man kann damit auch leben, umgehen, es im Zweifelsfall ignorieren. Aber die Zeit der Annäherung ist vorbei. Partizipation hat sich für Medien als Fehlschlag erwiesen, weil sie davon wenig verstehen, und die, die partizipativ wirken könnten, es nicht nötig haben, als Kommentarsklave den Journalistenherrn anzubetteln. Es gibt schliesslich Blogs.

Und das werden sie uns nie verzeihen.

(Nachtrag siehe hier)