Manche geschätzte Kollegen glauben, dass die aktuelle Krise amerikanischer und sonstiger Banken dazu führen wird, dass Firmen in diesen unschönen Zeiten ihre Werbung nicht mehr mit enormen Streuverlusten bei Glotze und Zeitschriften schalten werden, sondern zielgruppengerechten Internetangeboten den Vorzug geben – Stichwort Effizienz und präzise Resultatkontrolle. Ich persönlich bin da ganz anderer Sicht, man stelle sich mal folgende Szene vor:

Anbieter Rasend Supi Charmender Handelsware (ARSCH): Aaaargh, die Bank will ihr Geld, meine Investoren wollen Zuwächse, die Wirtschaft schwächelt, die Medien behandeln ich wegen ein paar kleiner Spammereien, als würde ich Jens Kunath heissen und obskure Spielchen im Netz anbieten, was tue ich nur?

Werber Über Ragender Gedanken (WÜRG): Wie wäre es mit zielgenauer Werbung bei Communities? Die Leute schreiben jeden Mist über sich rein, wir wissen zwar noch wenig, ob das überhaupt wahrgenommen wird, oder ob die Leute das überhaupt mitbekommen, weil sie Adblocker haben, aber es super zielgenau, ok, ein wenig riskant natürlich, aber hey!

ARSCH: Bo echt! Geil! meine Investoren und die Bank werden mich mit Geld überschütten, wenn ich jetzt nicht mehr in der Zeitung werbe, wo meine alten Kunden sitzen, sondern gerade jetzt in der Krise auf völlig neue, unbekannte und hochriskante Werbeformen setze,

WÜRG: Und das beste: Es sind Portale, von denen die sicher noch nie was gehört haben! Das schafft sicher grandioses Vertrauen! Das Neue entdecken, jetzt lieber neue Kunden wonaders suchen, statt die alten zu behalten!

(Nehmen sich an der Hand, tanzen auf der Bühne, WÜRG bietet ARSCH eine Prise Kokks und hält ihm hinter der Bühne denselben hin, alles Friede, Freude und Eierkuchendiagramme mit fetten Gewinnen)

Sorry, aber ich halte das für hochgradig unwahrscheinlich. Man muss davon ausgehen, dass Firmen gerade in der Krise auf das setzen, was sich bewährt hat, und nicht auf Zukunftsversprechen interessierter Seiten, wie den Anbietern von Web2.0-Werbeplätzen und den mit ihnen verbandelten Hypemedien. Womit wir zu Projekten wie deutsche-Startups.de, off-the-record, golem.de und handelskraft kommen, die sich allesamt den Polante, wie man in Bayern sagt, für den sattsam bekannten Jens Kunath machten, als der zusammen mit seiner Frau den Start der Familiencommunity Paulsmama verkündete. Ein ganzer Haufen Blogger aus der Web2.0-Ecke hat das Werden des Projekts wortreich bejubelt – und jetzt sagen sie nichts mehr.

Schon komisch. Denn Kunath hat das mit dem magischen Worten von 100.000 Euro Investment begleitete Paulsmama wieder verkauft, und zwar an Leute, die nicht den Eindruck machen, als wüssten sie jetzt viel damit anzufangen:

Die Community paulsmama.de zieht sich in eine Denkpause zurück.
Wir arbeiten an einem neuen Konzept und nehmen uns die Zeit die Plattform neu zu überarbeiten. Bitte haben Sie dafür Verständnis, wenn das etwas Zeit in Anspruch nehmen wird. Seien Sie daher umso gespannter und mit dabei, wenn es wieder los geht.

In der New Economy machte man ehrliche, betrügerische Bankrotte, heute dagegen dominiert der Verkauf für ungenannte, mutmasslich kleine Summen, und am Ende sind die Nutzer die Dummen, die sich mit ihren Daten plötzlich woanders finden – siehe den Worst Case meinnachbar.net.

Man sollte sich unbedingt den dazugehörigen Beitrag von Jens Kunath durchlesen (http://www.jenskunath.eu/2008/02/02/paulsmamacom-verkauft/), der ziemlich gut zeigt, woran es bei vielen Gründungen hapert: Fehlendes Bewusstsein für die kommenden Probleme, mangelnder Wille, die Sache zu machen, auch wenn die guten Gelegenheiten scheinbar verpasst wurden. Paulsmama ist in meinen Augen sympthomatisch für das ganze Web2.0: Ein Goldrausch, schnell rein, schnell auch was aufressen, schnell verschreien, und wenn es nicht ganz so läuft, weiter zum nächsten Ding, das die üblichen blöden Blogger und Medien dann wieder beklatschen. Mit so einer Haltung und Performance wird sich jeder gut überlegen, ob er seine Werbung bei solchen Plattformen schaltet, oder nicht doch irgendwo hingeht, wo er davon ausgehen kann, dass die Werbefläche und das Publikum morgen noch da ist.

Was machen eigentlich Frazr, Shoppero und Adical?