Wir sind bei der letzten Debatte in etwa überein gekommen, dass für Besucher der Mille Miglia die bekannte Photoplattform Flickr praktisch keinerlei Bedeutung hat. Selbst unter freundlichster Bewertung liegt der Anteil der Photographen, die den Dienst für die Dokumantation des berühmten Oldtimerrennens nutzen, bei einem hundertstel Prozent.

Nun vergleichen wir diese Gruppe eher durchschnittlicher Menschen mit 500 Web2.0-Jüngern, die sich unter Einschluss von Startuppern, PRoleten und anderer Staffage aus den Niederungen des aktuellen Internetgeschäfts in Kopenhagen zur Reboot 9 trafen. Aktuell spuckt Flickr sage und schreibe über 3600 Bilder zur Reboot 9 aus. Auf jeden Besucher kommen innerhalb von zwei Tagen rund 7 Bilder bei Flickr. Die Hochladerei ist momentan noch am Laufen, es wird sicher nicht dabei bleiben. Bislang habe ich über 250 individuelle Knipser gezählt – möglicherweise auch manche doppelt gezählt, denn während die einen vollverblödeten Bildspammer Knipser schlichtweg ihre ganze Amateurknipserkarte ohne Rücksicht auf das Leiden der Betrachter und möglicherweise zum Schaden der so verhunzt Abgebildeten hochladen, ersaufen andere mit sporadischen Bildern in der Datenflut. Und Flickr hat nach meinem Wissen bis heute keine vernünftige Suchfunktion, die die Zählung erleichtern könnte

Lässt man mal ausser Betracht, dass die meisten anwesenden angeblichen Digitaltechnikkönner bis an ihr Lebensende wegen erwiesener Unfähigkeit am Auslöser Kameraverbot erhalten sollten, liegt der Anteil der Flickrnutzer bei der Reboot bei 50% oder höher. Was nun zwei hochinteressante Fragen aufwirft:

1. Wer ist generell die spannendere Zielgruppe für jede Art von Geschäft? Man vergleiche mal die flickrweb2.0süchtigen Leute von der Reboot mit den benzinundweinwollenden Zuschauern der Mille Miglia.

Ich mein, da ist doch klar, wo das Geld zu holen ist, und wo die Ratenzahlung mit unsicherem Ausgang, wer sich ein Hotel leisten kann und wer einen Schlafsack, wer den Wein trinkt und wer das Wasser aus der Leitung, wer der real existierenden Wirtschaft Liebling ist und wer nicht.

2. Nichtdestotrotz: Diese zweite Gruppe sieht sich als gesellschaftlicher Vorreiter und plant über weite Strecken, die grosse erste Gruppe irgendwann in das Web2.0 zu ziehen, um sie dort mit Werbung, ProfiLügen, Schleichwerbung und sonstigen Formen des nicht überall geschätzten Lebensunterhaltes zu kapitalisieren. Wenn man 2 Tage mit Leuten zusammen ist, für die es die normalste Sache der Welt ist, über 7 Bilder pro Teilnehmer in das Internet zu blasen – ist man danach überhaupt noch in der Lage, eine Welt zu begreifen, in der nur 0,01% der Photographen diesen Dienst nutzen? Ist das noch eine Kluft, oder sind das nicht doch Welten? Kann man sich überhaupt noch in die anderen reindenken, oder ist man schon vollkommen assimiliert an die Peergroup der Borgs2.0?

Was wir mit diesem vollkommenen Gegensatz der Mediennutzung erleben, ist meines Erachtens ein klassischer Ausgangspunkt für eine Katastrophe einer Ideologie, die mit den Worten begraben wird, sie sei ihrer Zeit voraus gewesen. Ja, ich weiss, das ist böse formuliert.Wenn ich mit den “practical visionaries” im Sinne der Reboot rede, gelte ich als reaktionärer Old Economist, der alles schlecht macht. Und wenn ich mit denen rede, die mit dem Internet jenseits von Mail und Pornodownload nichts anfangen können, gelte ich als der Web2.0Freak mit total seltsamen Ansichten. Die Synthese daraus lautet für mich: Solange es die anderen in derartiger Marktnichtdurchdringung gibt, solange bei 3 Millionen Anwesenden nur 300 Photos im Web2.0 landen, ist jede Theorie zur Marktentwicklung im Web2.0 Makulatur. Denn das Geld geht dahin, wo die Leute sind. Auf die Mille Miglia, und nicht zur Reboot, und all den anderen schicken werbefinanzierten Internetideen.