Man kennt das: Kaum gibt es irgendein wirtschaftliches Problem, preschen die Arbeitgeber- und Reichenverbände vor und fordern Steuernsenkungen und Bürokratieabbau. Und das, obwohl Deutschland wirklich niedrige Realsteuern und eine sehr effektive Bürokratie hat. Und sobald irgendein christliches Fest naht, stellt sich ein Bischof vor die Kamera und saldabert vom Wertevrlust der Gesellschaft, obwohl dieselbe seit der Zeit, da die Kirche entmachtet würde, keinesfalls schlechter und dümmer geworden ist, und mehr Menschen auf den Scheiterhaufen stelle.

Zu diesen Ritualen gehört es auch, dass sich Anfangs des Jahres die immer gleichen Technikjünger hinstellen und fordern, die Deutschen sollten endlich anfangen, ihre Technikfeindlichkeit abzulegen und das Internet als Chance begreifen, ihr Leben mehr ins Netz zu verlagern, die Angebote anzunehmen und ihre Technikskepsis, diese üble deutsche Nörgelei an allem Neuen, ablegen.

Und ich sitze dann nun schon seit 10 Jahren, denn so lange habe ich schon mit diesen Propheten und ihrer Warterei auf das Kommen des Internetmessias zu tun, daneben, und frage mich, was diese Knilche eigentlich wollen. Denn ausser ein paar ähnlich unqualifizierten Wortmeldungen einiger Journalisten fällt mir wenig ein, was man explizit als deutsche Technikfeindlichkeit festmachen könnte.

Was ich dagegen sehe, sind einfach sehr viele Menschen, die sich im Laufe der Zeit das Internet undogmatisch so zurechtlegen, wie sie es brauchen. Manche, wie meine Eltern, brauchen es überhaupt nicht. Das hat bei dieser Gruppe einfach damit zu tun, dass sie gelernt haben, ihr Leben ohne Netz problemlos zu organisieren, und das ist weniger problematisch, als, sagen wir mal, mit der Festplatte gefühlt sein Leben zu verlieren. Andere nutzen das Internet in seiner primitiven Form zur Emailübertragung, oder bestenfalls zur Selbstdarstellung, und sind damit vollkommen zufrieden. In meinem Bekanntenkreis sind mehrere höhere Mitarbeiter einer Bank, über die man fast nichts im Internet findet, und die beruflich nicht frei online sind, weil die Bank es untersagt. Keiner von denen hat etwas gegen das Internet, alle bekommen durch das Netz, was sie brauchen, aber halt keine Blogs oder Social Networks. Keiner von denen empfindet es als Verlust, ohne dass er explizit etwas gegen das Netz hätte. Ein paar andere schaffen sich im Netz ihre kleinen, privaten Ecken, weil es das ist, was sie kontrollieren und erleben können. Und wieder andere exponieren sich, so weit sie irgendwie können und pappen in jede Mailaddy ihre 27 Channels zur Kommunikation dran, um alles zu adden, was nicht bei Drei auf den Bäumen ist.

Letztere Gruppe ist dann auch diejenige, die am beharrlichsten ein Ende der Internetfeindlichkeit der Deutschen moniert, und das in einem verkündereischen “Was Du bist noch immer nicht bei DienstXY, was bist denn Du für einer”-Ton, der nicht gerade Lust macht, diesen Herrschaften in ihre Ecke der Onlinewelt zu folgen. Zumal das oft genug Leute sind, die, um es vorsichtig zu sagen, auf der Suche nach Jüngern sind, die ihren weiteren Weg mit Geld und Aufträgen zu unterstützen; sie sitzen in Zukunftsinstituten und Beraterklitschen, sie schreiben bei kommerziell weitgehend erfolglosen Blognetzwerken und führen sich auf, wenn man ihre flockig hingeworfenen Thesen zur Medienrevolution ohne jede fundierte Grundlage, die sie gleich grossmäulig als “Agenda” branden, als wenig brauchbar einstuft.

Ich persönlich glaube, dass jede technische Neuerung ihre Zeit braucht, um zu überzeugen. Genauso, wie Eventblogs weitgehend sinnlos sind, wie Hypes verpuffen und Startups ihren Glanz verlieren, bringen auch die Zukunftsherbeischreier wenig, wenn es um echte Überzeugungsarbeit geht. Es fehlt ihnen an der Fähigkeit, ihre aufgebauschten Dogmen den Menschen nahe zu bringen, sie dort abzuholen, wo sie sind.. Das Formulieren einer Anspruchshaltung, die Definition des eigenen Standpunktes als Fortschritt und die Aufforderung, so schnell wie möglich in der gewünschten Form nachzukommen, ist da eher kontraproduktiv. Man muss die Menschen im Netz ernst nehmen, man muss ihnen etwas bieten, das sie wollen, dann klappt es eher, als mit der Diffamierung von Blogs in der FAZ oder dem “Print ist tot”-Geschrei von Typen, deren Firmen im Netz keine 6 Monate mit Billigarbeitskräften überlebt haben.

Bei der Gelegenheit möchte ich vielleicht nochmal an Second Life erinnern, und an die Zukunftsgläubigen, die meinten, darin eine Parallelwelt zu sehen, bei der man und jede Firma sein muss. Oder Cyworld. Oder die These vom Long Tail. Oder Twitter als Politikkanal im Vergleich zum Podcast, als sei irgendein Politiker als Twitter irgendwie ein besserer Lippenstift auf einer hässlichen Sau. Lauter ideologischer Müll, hochgelabert, auf die Titelseiten gebracht, gescheitert, das nächste geile Zeug gemacht. Das ist nicht Zukunft und nicht beta.

Sondern einfach nur paar unerträgliche Dummköpfe, auf die wenige Lust haben.