Dieser Tage, da derWesten endlich rasiert wird
Ich muss Thomas Knüwer deutlich widersprechen: Bei DerWesten, dem Onlineportal der WAZ, stirbt keine Kultur. Bei DerWesten wird demnächst vermutlich ein misslungenes Projekt plattgemacht, weil dieser Versuch nicht mal ansatzweise in der Lage war, etwas zu werden, was man als Kultur bezeichnen könnte.
Es ist halt auch immer die Frage, wie man Projekte erlebt – ich persönlich wurde unter lächerlichen Umständen angesprochen, ob ich für die arbeiten wollte, anders sollten sich für 300 lunmpige Euro abspeisen lassen, und wem das zu wenig war, der durfte sich von der Chefin Sprüche anhören, dass sie trotzdem mehr als andere bezahlen würden – und wer nicht wollte, sollte es bleiben lassen. Und wer es doch wollte, wurde mitunter bald wieder gefeuert. Zur Erinnerung, die Chefin sagte noch vor Beginn des Projekts, als es das führende Web2.0-Angebot und das modernste aller Nachrichtenportale werden sollte:
wir werden hoffentlich möglichst viele motivierte freie Blogger beschäftigen können, die angemessen bezahlt werden, also nicht hier mit wie in anderen, von anderen Projekten bekannten irgendwelchen lächerlichen Beträgen abgespeist werden und ich möchte einfach Lesern die Gelegenheit geben sich zu beteiligen sei es durch Kommentare oder bloggen oder Photos oder Videobloggen oder sonstwas.
Super! Wobei es im Oktober 2006 auch hiess:
Das Ganze genieße, so Reitz, bis in die beiden Eigner-Familien höchste Priorität und es werde (ungewohnt für die als knauserig bekannte Gruppe) „richtig viel Geld“ in die Hand genommen.
Egal, womit die bei Thomas erwähnten, hohen Verluste des Portals entstanden: Ganz sicher sind sie nicht bei der Bezahlung jener Leute entstanden, die die rausgepusteten hohen Qualitätsansprüche liefern sollten. Die wurden bei derWesten nicht erfüllt, und schon gar nicht in den Blogs. Die Abrufzahlen des Ladens sind sicher nicht so schlecht, weil die Inhalte so gut sind. Wenn Thomas die teuren Berater beklagt, die jetzt an Bord kommen: Auch schon früher waren bei derWesten Berater nicht umsonst unterwegs. Das, was man jetzt vorfindet, von den laschen Blogs über die nicht funktionierende Communitybildung und das ungebrauchte Geotagging bishin zum Versagen, eine Dachmarke für eine Region zu schaffen – das ganze Desaster hatte drei Jahre Zeit, sich zu entwickeln, es hatte viele Möglichkeiten und viel Geld, und das, was es momentan ist, ist das Ergebnis: Von Anfang bis Ende durchgezogen, bis heute kaum verändert, nicht attraktiver, und immer noch Sammelstelle banaler Nachrichtentexte, die man so überall findet. Ein klein wenig Web2.0-Fassade. Und ganz sicher nicht die digitale Heimat einer Region, in der, weil man angeblich sparen musste, die Journalistenstellen massiv zusammengestrichen wurden.
Insofern ist derWesten ein typisches Medienprodukt unserer Zeit: Riesenklappe, Riesenansprüche, innovationsgeil bis zum Anschlag und bis in die Knochen minderwertig, banal und öde. Jetzt kommt mit Ulrich Reitz (siehe das “richtig viel Geld” oben) ein anderer Chef: Ich sass bei den Medientagen neben ihm, als er die Kündigungsorgie als Zeotungsrettung verkaufte. Der wird das Ding ohne jeden Zweifel massiv beeinträchtigen und verändern. Es wird, zumindest ist meiner Erwartung, eine miese Zeit werden, exekutiert an einem miesen Produkt. Hätte es bei derWesten nur ein paar der selbst formulierten Zielen erreicht, wäre es vielleicht besser. Ist es aber nicht. Es ist ein prima Beispiel, wie man es nicht machen sollte. Aber vermutlich kratzen gerade in diesem Augenblick schon die nächsten vollmundigen Berater an den Verlagstüren bei inkompetenten Managern, um zu erzählen, dass Twitter der neue Journalismus ist, und Inhalt nicht mehr zählt.
Sorry, the comment form is closed at this time.
Unter rationalen Gesichtspunkten müssen die jetzt den Weg der Netzeitung gehen. Am besten zwischen den Jahren, wen es keiner mitbekommt.
Ja, da hat es sich der ansonsten sehr geschätzte Herr Knüwer bisschen einfach gemacht. Die Stimmung gegen einen mutmaßlichen E-Mailausdrucker als neuen Chef von derwesten.de aufzugreifen ist eins, es hätte der Betrachtung aber wesentlich mehr Tiefe verliehen, mal zu analysieren, warum das so ambitionierte Projekt nach drei Jahren unter einer so internetaffinen Chefin immer noch so eklatant hinter den geschürten Erwartungen hinterherhinkt.
Ich bin mit den internen Abläufen und Geburtswehen, die den Start so lange hinausgezögert haben, nicht vertraut. Ich hatte aber den Eindruck, das ganze krankte unter anderen auch daran, dass man mit dem neuen Regionalportal in einem Aufwasch auch gleich den ganzen workflow der Print-Redaktionen sowohl technisch ais auch organisatorisch an die neue Zeit anpassen und ans Regionalportal anbinden wollte, was in seiner Kompliziertheit den anfangs zweifellos vorhandenen Elan der Onliner um Frau Borchert alsbald empfindlich bremste.
Ob die Ansage mit “richtig viel Geld in die Hand nehmen” verwirklicht wurde, weiß ich nicht. Im Zweifelsfall wird der Großteil des Geldes in der Technik versickert sein, so dass der Etat für redaktionelle Inhalte keine großen Sprünge erlaubte. Müsste man das Portal nicht an seinen vollmundigen Versprechungen der Startphase messen, sähe die Bilanz womöglich gar nicht sooo mies aus, wie sie sich jetzt darstellt.
[…] WAZ-Mediengruppe: Dieser Tage, da derWesten endlich rasiert wird (Blogs! Buch Blog) – Don Alphonso erklärt anlässlich des aktuellen Wechsels in der Position des Chefredakteurs das Scheitern von DerWesten. […]
Ich glaube, die Zeitungsverlage haben so ein massives Akzeptanzproblem mit ihren Websites und in der Folge natürlich Finanzierungsprobleme, weil sie ihre Portale top-down verstehen, so wie ihre Zeitungen: Ein Produkt für alle. Sie übersehen oder unterschätzen, dass vom Standpunkt des Nutzers das Internet etwas höchst individuelles ist. Ich glaube, wenn Zeitung im Netz Erfolg haben soll, braucht sie viel mehr thematische und inhaltliche Tiefe – für ein Portal wie den Westen würde das bedeuten: Ein Netzwerk aus zig lokalen Top-Angeboten, in denen sich Herr Individuum wiederfindet und mitmachen kann. Ich habe darüber übrigens jüngst gebloggt (“Der begeisterte Leser”): http://www.marian-semm.de/2009/12/serie-lokalzeitung-2-0-folge-1-der-begeisterte-leser/
Irgendwie habe seit kurzem den Eindruck, dass die Verlage zu dem Schluss gekommen sind, mit Online ist so kein Geld zu verdienen. Ergo fahren sie die Ressourcen zurück, und schauen dabei, ob die Konkurrenz das wohl auch so sieht. Und sie träumen davon, dass man vielleicht bald endlich Bezahlangebote einführen kann, weil die Rezipienten einsehen, dass billig nicht gut sein kann. Oder dass wenigstens die Leute wieder Zeitungen kaufen, weil ihnen Online sowas von auf den Sack geht. Deshalb wird das Online-Angebot bewusst sukzessive schlechter gemacht. Kann man nicht nur im Westen beobachten. Die SpOn-Artikel – also beim Marktführer – werden auch seit einiger Zeit immer unmotivierter.
@mark793 (2):
Ich bin natürlich kein Unternehmensberater oder sowas, aber als täglicher Leser der WAZ (Print) bzw. DerWesten kann ich schon einige Sachen feststellen, woran ambitionierte Pläne meiner Meinung nach gescheitert sind.
So hat beispielsweise die Verzahnung Print/Online nicht vernünftig geklappt:
Es kann beispielsweise nicht sein, dass zu einem Bürgerbegehren in einer der Kernstädte des Verbreitungsgebietes erst viele Stunden später etwas bei DerWesten (über eine Agentur-Meldung, wenn ich mich recht entsinne) steht. Ist ja nicht so, dass das ein plötzliches Unglück ist, welches nicht in den Terminplan der Mitarbeiter passt, das ist ein Ereignis was monatelang vorher bekannt war und worauf man sich hätte vorbereiten können.
Wenn man sich die IVW-Zahlen von DerWesten anschaut (die ich mal eine zeitlang im Vergleich zur Rheinischen Post ausgewertet habe), dann stellt man fest, dass diese in den Monaten, wo es mehr EXKLUSIVE lokale/regionale Inhalte gab (Stichwort: Karneval, Love Parade in Essen und Dortmund), deutlich nach oben gestiegen sind.
Ich glaube übrigens nicht, dass dies primär ein Problem von DerWesten bzw. der Online-Redaktion war – ich denke die sind froh gewesen, wenn sie entsprechende Inhalte einspielen konnten. Wenn jedoch von ganz oben indirekt die Maxime kommt, dass man im lokalen wohl weiter sparen könne (Schließung der Lokalredaktionen ist ja doch ein anderes Zeichen als beispielsweise Eröffnung neuer Lokalredaktionen wie bei der Rheinischen Post), dann muss man sich nicht wundern, wenn sich das auch auf den Online-Auftritt auswirkt. Denn Agentur-Meldungen (egal ob dpa oder nicht) kann ich auch woanders lesen – dafür brauche ich DerWesten nicht.
Von mir aus können neben dem “Der Westen” auch gleich noch die Drucksachenschmierereien namens WAZ, NRZ und Co eingehen. Dieser Konzern hats nicht anders verdient mit seinem korrupten Gewerkschaftsfunktionär an der Spitze der Redaktionen.
Der Knüwer hat zunächst mal Recht, wenn er die überzogenen IT-Kosten kolportiert.
DerWesten hat sich in den 3 Jahren technisch nicht einen Millimeter verbessert, muss anscheinend immer noch auf der völlig veralteten cityweb-Infrastruktur rumschröggeln und verfängt sich nun – deutlich sichtbar nach dem Relaunch vom letzten Montag – in einem Wust von Klickibunti-Wünschen, unkontrollierbaren Skripten und einer mitgeschleppten Bugfix-/Patch-Liste, die wahrscheinlich dicker als das Essener Telefonbuch ist. Selbst Bugs, die schon bei früheren Relaunches auftauchten und damals gefixed wurden, werden nun einfach “toleriert”.
Aber eine “Kultur” habe ich dort genauso wenig wie Don gesehen. Die verbliebenen Redakteure der Print-Titel und die Online-Redaktion führen anscheinend eine Grabenkrieg (auch über die Technik), denn die Zahl der doppelt und dreifach eingestellten Artikel steigt beständig weiter und der Leser, der auch online gern “seine” Lokalredaktion wiedererkennen möchte, wird zunehmend durch schlecht recherchierte Artikel aus dem Online-Team verwirrt – vom völlig unsinnigen, aber dennoch von derWesten heiß geliebtem Geotagging mal ganz abgesehen.
Das Ding wurde von Anfang an nie seinen eigenen Ansprüchen gerecht und verendet jetzt wohl in einem Sumpf an Internet-TV-Beliebigkeiten, wenn man die neuen “Ideen” so liest.
Kurz nach dem Start von “Der Westen” gewährte die WAZ einer Gruppe von Redaktionsmanagern, überwiegend aus regionalen Medienhäusern (darunter auch ich), Einblick in ihr ambitioniertes Projekt – womit ich auch die Größe der Mannschaft meine.
Kollegen, die schon damals mit merklich kleineren Print- und Online-Redaktionen aus- und meist auch klarkamen, fragten erst sich und später auch WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach, wann und wie “Der Westen” mit dieser Ausstattung Gewinne machen sollte.
Hombach antwortete damals sinngemäß: Gewinn soll “Der Westen” (erst einmal) gar nicht machen. “Der Westen” soll vielmehr das beste Portal werden – und das sei viel schwieriger, als “nur” Gewinne zu machen.
Die Zeit heilt alle Wunden. Aber sie holt auch alles auf den Boden der Tatsachen zurück…
Ich lese hier eine blitzsaubere Analyse der Situation beim Onlineportal der WAZ. Ich lese auf sprengsatz.de eine blitzsaubere Analyse der Situation bezüglich des Afghanistan-Krieges. Meine Folgerung: there is always room for quality.
Dass irgendwelche Versuchs-Angebote scheitern, gehört zur Entwicklung. Zumindest kann man daraus viel lernen – zudem kostenlos, wenn man Beobachter ist.
Ein Rätsel:
Jemand hat ein nicht abgeschlossenes Jura Studium, danach mal mehr oder weniger zufällig einen guten Blog u.a. mit Frau Merkel. Der Vater dieser Person ist Hobbyjäger und kennt Herrn Hombach persönlich. Wenn dann dieser “jemand” den ersten richtigen Job nach dem o.g. Studium macht und von einer 40 Stunden Arbeitwoche maximal 10 Stunden im Westen ist,kommt genau das heraus, was ist jetzt ist; ein misslungenes Projekt, an dem nur UN-Berater sehr viel Geld verdient haben.
Wer ist die gesuchte Person?
Ich tendiere ja zur Meinung dass, wenn dien gesuchte Person wirklich so wäre wie oben angedeutet, der Spiegel eine reichlich schlechte Wahl getroffen hätte – aber ich glaube, so doof sind die auch nicht.
Mir wurde von drei Monaten ein Ãœbernahmeangebot gemacht, ich sollte zu einer Zeitschrift wechseln wegen meiner Bloggerei, dort dürfte ich weiterbloggen und die Onlineaktivitäten ausbauen – es gibt solche Angebote auch ohne Beziehungen. Vielleicht nicht ganz so schnell wie bei derwesten, aber angesichts dessen, was dort war, kann ich auch verstehen, wenn man mal einen ganz anderen Weg gehen möchte.
Es ist ja fast schon rührend, dass auch Don Alphonso nicht frei ist von der Kompetenzvermutung, dass, wem Gott (Der Spiegel) ein Amt gibt, auch Verstand gibt (oder gegeben hat). Nicht, dass dies nicht so sein kann, aber ein Teil der “Wahrheit” des Web bzw. der Welt ist doch, dass es sehr viele vergleichbar kompetente Menschen gibt, wir aber immer noch einer Hitparadenideologie anhängen, in der es immer nur eine Nummer 1 geben kann.
Etwas weniger abstrakt: Auch der 1000. beste Skilehrer Österreichs dürfte den meisten Skifahrern um Äonen voraus sein. In unserer für Skaleneffekte anfälligen, menschengemachten Wirtschaftswelt, entfernt sich dagegen der beste Skifahrer finanziell um Äonen von den nachrangigen.
Und während die so genannte politische Linke, immer noch verzweifelt Wege zur Umverteilung sucht, ist das eigentlich emanzipatorische Projekt das einer Inklusion und Teilhabe. Dies aber – und jetzt sind wir wieder beim Thema Medien – widerspricht diametral den durch ehemalige Monopolgewinne verwöhnten, traditionellen Medienkonzernen.
Die richtige Person im richtigen Kontext kann sich schon sehr positiv auswirken – und DER SPIEGEL samt Ablegern hält schon einiges an neuen Ideen aus. Was spricht dagegen, dass sich SPIEGEL Online zur investigativen Konkurrenz zu regionalen Medien ausbaut ?
Die regionalen “Qualitätszeitungen” werden im Internet dann zerrieben zwischen BILD-Leser-Reportern und SPIEGEL Online-Reportern – alle auf der Jagd nach Skandalen, Peinlichkeiten, Machenschaften über die lokal kaum berichtet wird, weil man seinen Anzeigenkunden doch nicht zu stark auf die Zehen tritt. Weil man miteinander verwandt, befreundet usw. ist. Bild + Spiegel haben lokal keine Beisshemmung – dagegen sind die die Lokalverleger domestizierte Dackel, die manchmal kläffen aber nie richtig beissen.