MC social Winsel oder: Zum Stand der Professionalisierung II
Teil 1 ist hier. In Mainz traf ich auf dem Podium und danach auf Benedikt Köhler, der dort auch die Sache der im Frühjahr gegründeten “Arbeitsgemeinschaft Social Media” vertrat. Später meinte er, er habe isch schon gewundert, warum ich hier noch nicht darüber geschrieben habe. In der Diskussion habe ich mein Grundproblem mit dem Ansatz der AG angerissen: Die AG versucht, der Beziehung zwischen Leser, Autor und Betreiber von sozialen Medien wie Blogs einen besonderen Wert beizumessen, der auch gleich verwertet werden soll. Ich habe ein anderes Verständnis von sozialen Beziehungen: Sozial schliesst eine wirtschaftliche Verwertung erst mal aus, und ich reagiere hochgradig allergisch, wenn ich bemerke, dass jemand versucht, auf einem persönlichen Kontakt plötzlich vor allem seine Geschäfte durchzuziehen. Das tut man nicht.
Abgesehen davon halte ich den allergrössten Teil der “Beziehungen” zwischen Bloglesern und Blogautoren für hochgradig irrelevant. Ich glaube auch nicht, dass ein Blogger als bezahltes “Testimonial” für eine werbende Marke andere dazu verführt, diese Marke für ebenso cool wie den Blogger zu halten. Sollte es anders sein: Um so schlimmer, denn die Verehrung von Bloggerstars ist ein sehr begrentes Phänomen und trifft ausserhalb der Blogosphäre auf wenig Verständnis. Selbst die bekannten Blogger sind nur Vertreter einer im Internet aktiven Szene unter sehr vielen anderen Szenen. Ich glaube, man kann unter Fans mit einem Snowboarder Snowboards promoten. Ich glaube aber nicht, dass irgendwelche meist fahruntüchtigen Blogger und Pausenclowns andere Blogger dazu bewegen, sich einen Opel Astra zu kaufen. Und die extrem niedrige Widerholungsrate derartiger Aktionen zeigt meines Erachtens auch, dass die Erfolge nicht allzu üppig waren.
Nun gibt es da draussen auch eine Blogger in Kiel, der sich MC Winkel nennt und sich auch als “Marke MC Winkel” präsentiert, und der als sowas wie ein Vorreiter der Selbstkommerzialisierung gelten kann. Vom gescheiterten Charteinstieg seiner Band bis zum Hundekotspielerei, von der Opeltesterei bis zur vergessenen Kennzeichnung von Werbung war sehr viel dabei, was die Blogosohäre nicht zwingend schöner gemacht hätte. Eine Sache jedoch blieb uns erspart: MC Winkel als deutsche Version eines Echtzeitmarketingprojekts von Ikea. [Disclosure: Ich würde mich gegen Ikeamöbel in meinem Haushalt ebenso wehren wie gegen das musikalische Werk von MC Winkel] Ein gewisser Nils sitzt für Ikea in einem Raum und kommuniziert mit Twitter, Telefon, Video, was auch immer mit denen, die sich das anschauen. Im Grunde ist diese Idee des Schauwohnens schon sehr, sehr alt und seit der Erfindung der Möbelgeschäfte bekannt; jetzt kommen halt noch ein paar neue technische Kommunikationskanäle dazu. Ikea hat es in den USA vorgemacht, und widerholt es in Deutschland. Und hier nun bringt sich MC Winkel ins Spiel:
Eigentlich sollte ich denen meine Idee in Rechnung stellen. Ähnliches hab ich nämlich den Marketing-Leuten Anfang des Jahres vorgeschlagen. Projekt kam nicht zustande… bis jetzt. Frechheit.
Ein paar für ihn nicht allzu schmeichelhafte Debatten später erzählt er dann die ganze Sache aus seiner Sicht: Er wollte die amerikanische Ikea-Idee an Ikea Deutschland mit sich als Hauptfigur nochmal machen, Leute einladen, Party machen, kurz (http://www.whudat.de/?p=1629)
Warum sollte MC Winkel also nicht einmal sowas haben können? Und sich das dann auch noch Alles von Ikea bezahlen lassen!?
Am Ende jedoch scheiterten die Verhandlungen seiner Behauptung zufolge daran, dass ihm Ikea nichts für seinen Auftritt bezahlen wollte.Und macht es nun ohne Party, aber längerfristig mit einer anderen Person selbst. Und ich denke, dass Ikea richtig gehandelt hat. Denn die sozialen Bindungen, die nach dem mcwinseligen Beitrag aufschlagen, sind eher von der Schattenseite der sozialen Bindungen. Da wird der andere Darsteller zum “Gesichtsgulasch”, es sei “kreativer diebstahl”, der Blogger solle sich dafür von Ikea die Bude neu einrichten lassen, oder sie verklagen.
Die Fans, die uns hier gegenüberstehen, hätte Ikea natürlich auch mit Freibier abfüllen oder mit kostenlosen Backlinks ködern können, aber darum geht es Ikea vermutlich nicht. Was wir hier sehen, ist ein ziemlich zynischer Zugang zum Werbenden, der nur etwas gelten würde, wenn er zahlt, und verteufelt wird, wenn er sich gegen den Anführer der Fans entscheidet. Und obendrein haben wir noch eine “Marke MC Winkel”, die diese Reaktionen durch seine indiskreten Erzählungen aus den Verhandlungen mit Ikea hervorruft. Das ist nun mal social media in Reinkultur, und ich habe arge Zweifel, ob das Verpfeifen von ausgestiegenen Geschäftspartnern an den eigenen Mob hilft, diesen Bereich der Professionalisierung der Blogosphäre voranzubringen. Ich sehe da einfach keine Kunden, die ich würde haben wollen. Und niemanden, von dem ich meine Ziele vertreten lassen möchte.
Ikea hat sich entschieden, sich selbst einen – möglicherweise auch der Kuindschaft eher entsprechenden, keine Waschbeckenpinkeleien veranstaltenden – Charakter zu erschaffen und zu versuchen, ihn als soziale Identifikationsfigur zu entwickeln. Ich glaube nicht, dass sie Erfolg haben werden. Aber lieber kein Erfolg, als beim Kaufversuch von nicht sozial angelegten Loyalitäten draufzuzahlen.
Sorry, the comment form is closed at this time.
Ich hatte gestern auch so eine tolle Idee wie MC Winkel. Sie war ganz klasse und hätte mich unsterblich gemacht, wenn ich das nicht schon so sein würde. Ich habe diese Idee übrigens niemandem erzählt, hatte viel zu viel zu tun.
Nun warte ich darauf, dass einer meiner Idee klaut. Möglichst ein Großer, ein Wichtiger, ein Bedeutender. Dann werde ich auf meinem Blog gegen den wettern und werde auch so berühmt.
Ich twittere und identi.cae ich habe eine Webcam die ich einsetze um meine Gegner zu erschrecken, habe sogar ein paar Leser. Bin also eigentlich Web 2,0, Na gut, aber Web 1.3.1 bestimmt. Mir sagt dieser Nils nur, das Ikea langsam die Ideen ausgehen.
Vielleicht sollten sie Pfostensitzer engagieren vor ihren Läden, das hätte dann was mit Holz zu tun. Ja, Ich kaufe sogar bei Ikea. Nein ich nicht, aber die beste aller Lebensabschnittsgefährtinnen kauft. Ich versteh die Werbung trotzdem nicht. Sie auch nicht.
Was mache ich falsch?
Ãœbrigens kannst du vielleicht den MC Winkel nicht leiden? Zuviel des Aufwands.
Die Arbeitsgemeinschaft Social Media finde ich spannend. Sie versucht zuerst einmal rauszufinden was da überhaupt passiert und ob etwas passiert. Kommerziell wird da wohl erst in Jahren etwas interessant.
ich bitte euch, jemand der eine darmspiegelung für die geschichte seines lebens hält ist wirklich nicht erwähnenswert oder? die susan stahnke der blogs…
Dinge wie die AGSM sind mir immer suspekt, ich weiß nicht wirklich warum, aber schlimmstenfalls weiß ich das dann bald.
Die Möbelhauswerbung scheint aber irgendwie zu funktionieren – auch außerhalb der Käseglocke, unter der sich Netzschreiber gegenseitig verlinken, habe ich in letzter Zeit wieder öfters den Namen des Möbelhauses gehört. Wenn das der ‘Sinn’ der Werbung war, hat sie was gebracht. Gebracht hat sie aber auch, daß ich, da ich die Idee der Werbung gar nicht mag, mir einen Besuch des Ladens noch besser verkneifen kann als vorher.
In der AGSM sind PR-Agenturen, Marktforschungsinstitute und Unternehmen. Die “Wissenschaft” darf Steigbügelhalter spielen und Seriösität geben. Die Mitglieder vereint ein Ziel: Den Werbekunden mehr Geld für online-Werbung abzunehmen. “Metriken finden” bedeutet nichts anderes als die bestmögliche Monetarisierung eines Bereichs, der bisher sich der allumfassenden Werbewelt der Konsumgüterindustrie entzieht.
Nachtrag: Wenn ich das lese, überkomt mich Übelkeit:
Benedikt Köhler: Zwischen A-Liste und Longtail – auf der Fährte der Blogger”, Vortrag auf dem 43. Kongress der Deutschen Marktforschung, Hamburg, 6. Juni 2008.
Das Wort “Sozial” in “Soziale Netzwerke” empfinde ich etwas irreführend. Es impliziert etwas kuscheliges, eine Gruppe von Freunden. Gemeint ist eigentlich ein Beziehungsnetzwerk mit welcher Art Beziehungen auch immer. Ein Aspekt für manche ist sicher auch die Möglichkeit, Geschäftsbeziehungen dadurch zu gewinnen. Freundes- und Geschäftsnetzwerke miteinander zu verbinden, halte ich allerdings für nicht glücklich. Das ist wie im richtigen Leben. Ein Freundeskreis (ob viruell oder real) ist in erster Linie da, Freundschaften zu pflegen und in Kontakt zu bleiben. Private Blogs sind in dieser Perspektive Teil von Freundschaftsnetzwerken, wo das geschäftliche im Hintergrund bleiben sollte. Oder werberische Aktivitäten. Alles andere wäre eine Tupperparty.
Das schliesst nicht aus, dass es natürlich auch Business Blogs und Netzwerke geben kann. Aber das ist ein anderes Thema.
vielleicht liegt der grundsätzliche Fehler darin, dass man social mit sozial übersetzt hat, wenn meines Erachtens hier eher gesellschaftlich passen würde. Denn Netzwerke wie Xing (ja, ich kenne Deine Bedenken) sind halt weniger auf hug me happy als vielmehr auf Netzwerkbildung zwecks Karriere gerichtet. Die Betonung hängt meiner Ansicht vom jeweiligen Netzwerk und von der Intention allein ab, die man Niemandem vorschreiben kann.
Das mein privates Blog nicht dazu dienen soll, mich reicher zu machen oder in berufliche Spitzenpositionen zu schleudern ist meine privat Entscheidung. Andere können gern das Gegenteil versuchen.
Das Kasperltheater der 1950er Jahre bestand aus einer
Wolldecke, die über eine Teppichklopfstange geworfen
wurde.
Für 5 Pfennige durften die Nachbarskinder zusehen,
wie sich Vaters Wollsocken mit aufgenähten Knopfaugen
eine Patsche um die Ohren schlugen.
Immer die selben Kinder beklatschten immer wieder leicht
abgeänderte Stücke kindlicher Handpuppenkunst.
Das Kasperltheater 2000ff sind Blogs wie whudat.de .
Der Oberkasper betritt nicht mehr mit einem “Tri tra trullala”
die Bühne, sondern nervt mit seinem angelernten “Moinseenn”.
Begeisterte Mitkasper und Seppls applaudieren jeden Mist
des mit gutem Charakter sparsam ausgestatteten kleinen Matthias.
Und Matthias sieht sich schon im Fennseeh.
“Jawohl Matthias, die müssen bezahlen, das war doch Deine Idee!
Ok, den Kasper und die Bühne gab es schon, aber die Kulisse
und die Handlung ist doch von Dir. Oder?”
Als 14jähriger Bengel hatte oldman den Gedanken nicht mit Raketen
den Weltraum zu erobern, sondern mit einem Flieger.
Daß die NASA oldman dann die Idee gestohlen hat, ging in
der allgemeinen Begeisterung unter.
Und die NASA sagte, oldman dürfe ihnen keinen Ideenklau vorwerfen,
sonst könne es ihn teuer zu stehen kommen.
Mal abwarten, wann IKEA böse wird.
“Ich reagiere hochgradig allergisch, wenn ich bemerke, dass jemand versucht, auf einem persönlichen Kontakt plötzlich vor allem seine Geschäfte durchzuziehen.”
Den Satz kann ich nur unterschreiben! Entsprechende unangenehme Zeitgenossen gab es übrigens schon zu Offline-Zeiten. Umso glücklicher darf sich schätzen, wer heute keine “Marke MCW” zum “Freund” hat.
Kritik ist immer gut. Wenn mir als Schüler beim Überfliegen jedoch schon dermaßen viele Fehler ins Auge springen,dann nehme ich diese so ernst,wie meinen ehemaligen Lateinlehrer,der Kreide gefressen hat und es pflegte mit einem Besen durch die Klasse zu tanzen.
Weltenweiser, nachdem Adical immer mit dieser Fan-Bewertung der Leser geworben und damit auch den hohen Tausenderkontaktpreis begründet hat, scheint es nur logisch zu sein, das auch ernst zu nehmen. Und wer seine Kumpels auf Basis eines zahlenden Konzerns einladen will, setzt auf seine Sozialkompetenz, oder was immer es ist, wenn so einer mit “Verlinkt mich und ich zeige ein Bild mit Brille” sein Umfeld zwecks Relevanzsteigerung angeht. MC Winsel ist zwar mit seiner Art eine Extremform eines sozialen Aufmerksamkeitsmechanismus mit Anleihen bei 9live, aber daran lassen sich nun mal eben die Funktionsweisen am besten darstellen.
Und was die wissenschaftliche betrachtung angeht – die finde ich noch nicht mal schlecht. Wie ich schon Page und W&V entnehmen konnte, wird ja schon kräftig unterschieden zwischen Käuflingen (Empfehlung re:publica in der w&v) und dem “berüchtigten” (Page) Don Alphonso. Das alles ist noch nicht wirklich ausgegoren, aber wenn diese Leute zur Kenntnis nehmen, dass sie in gewissen Bereichen nur eine blutige Nase bekommen, ist das für diese Bereiche erst mal gut. Schlecht ist es für die, die Blogs durchgängig als sozial angenehmes publizistisches Umfeld vermarkten wollen. Nur wer dann glaubt, dass die einen die Bösen sind und die anderen für viel geld gute Leistungen bieten und einen näher an ihre Leser ranlassen, sollte nochmal genau überlegen, was er tut.
Werbung funktioniert leider nicht nach dem Prinzip “Wenn Star X Marke Y kauft/trägt/trinkt/isst/benutzt, dann wird Fan Z ebenfalls diese Marke wählen”
Werbung hat einzig und alleine den Zweck von anderen Produkten abzulenken. Der (potentielle) Kunde soll erst gar nicht auf die Idee kommen das es da noch andere Hersteller geben könnte.
Beim Lesen des Artikels habe ich mich gefragt ob WordPress in Deutschland auch so populär geworden wäre wenn Johnny Haeusler z.B. mit Serendipity gebloggt hätte.
Ich denke doch das es da einen gewissen Fan-Faktor gibt. “Der Typ hat anscheinend Ahnung, das was der hat will ich auch…”. Warum sonst geben z.B. Sportartikel-Hersteller Unsummen aus nur damit der Verein von Star X ausgerechnet ihre Produkte trägt?
Mag sein das diese Mechanismen bei dir (nicht) mehr funktionieren. Aber gerade bei jungen Menschen funktioniert das um so besser. Die haben sich noch nicht auf eine Richtung festgelegt, sind bereit auch neues auszuprobieren und oft bleiben sie einem Produkt/einer Marke lange Zeit treu.
Dieses social-commerce-Ding mag in großen (und jungen) Communities bisschen was abwerfen, aber als Geschäftsmodell für Blogwerbung seh ich das nicht. Zu aufwendig für zu wenig Masse, da skaliert schlechterdings nichts. Gut, die Kompetenz in Sachen Blogsoftwäre würdest Du einem Spreeblick-Johnny vielleicht noch abkaufen. Aber mit was für einem Handy ein Felix Schwenzel telefoniert oder twittert, das dürfte für die Kaufentscheidung oder auch nur Produktwahrnehmung der meisten Blogger so egal sein wie wenn am Bielefelder Bahnhofsimbiss ne Bockwurst platzt.
Und was die McWinkel-Möbelkiste angeht: Da brauche ich keine semiometrische Tiefenanalyse oder teure Mafo-Befragung, um zu sehen, dass diese Marken nicht so recht zusammenpassen. Das sage ich jetzt mal ganz wertneutral…
@mark793:
Am Bahnhof gibt es hier in Bielefeld nur den MacDreck wo das lokale Prekariat seine wenigen Mücken zum Fenster heraus- und den Müll überall hinwirft, nur nicht dahin wo er hingehört.
Die IKEA-Werbung ist doch super. Schade das meine Verbindung so langsam ist, würde es mir doch gerne mal zuhause anschauen.
Und wer IKEA-Möbel generell ablehnt, so einen kann ich eh nicht ganz verstehen. Wie kann man gute und billige Möbel ablehnen? Trinkst wohl auch Fair Trade Kaffee und gehst nur auf jene öffentliche Toiletten, die nach Tariflohn gespült werden, oder wie?
Wie kann man Fair-Trade-Kaffee ablehnen?
@17
Ablehnen … nein. Nur nicht NUR Fair Trade Kaffee, aus Prinzip sozusagen, trinken. Denn das wäre wie aus Prinzip IKEA-Möbel schlecht finden.
… gute und billige Möbel… guter Witz!
Na ja, und zu diesem Winkel. Der erinnert mich immer irgendwie an früher, als Schnösel nebenher Versicherungen verkaufen wollten und ihren sämtlichen Freundeskreis vertrieben haben damit, weil sie sogar auf Partys nur eines im Kopf hatten: Kontaket, um was verscherbeln zu können.
Dieses “soziale” in Verbindung mit “Kohle machen” war immer ekelhaft und wird es immer bleiben.
Frank, Du bringst es auf den Punkt. Es heißt nicht umsonst “Beim Geld hört die Freundschaft auf”, und der Umkehrschluß gilt natürlich genauso – wer sich anbiedert, nur um an mir Profit zu machen ist alles andere als ein Freund.
Ansonsten halte ich mich an die Wahrheit, daß jede, aber auch wirklich jede Entscheidung, die ausschließlich unter monetären Gesichtspunkten getroffen wird eine schlechte Entscheidung ist – in den meisten Fällen ist es nämlich die falsche.
Die Strategie, mit der Mathias Winks versucht, seine “Marke MC Winkel” zu etablieren, ist durchaus bezeichnend für viele, die bei der Umstrukturierung der Gesellschaft obenauf zu schwimmen versuchen, indem sie ihre Unterwürfigkeit zur Stärke machen. Mittel der Wahl ist dabei die Parodie – und zwar seiner selbst. Man erfindet sich als Projekt: “Wie würde es aussehen, wenn ich mich wirklich auf all die unwürdigen Dinge einlassen würde?” Diese “andere” Person beobachtet man dann, lacht mit anderen oder selbst über sie/sich im guten Gefühl, durch postmoderne Distanziertheit und spielerische Reflexion von dieser Selbstverhöhnung nicht betroffen zu sein. Auf diese Weise schaffen es viele, sich selbst prekärste Lebensverhältnisse schön zu reden: Die Ãœberidentifikation mit der Macht wird durch das Augenzwinkern zur selbst bestimmten Wahl deklariert und immunisiert.
Winks hat diese Strategie auf die Spitze getrieben, indem er diese Person wirklich externalisiert hat, als “MC Winkel”, einem machohaften Deutschrapper mit Pornobrille, der für alles zu haben ist, was man ihm aber nicht übel nehmen könne, da er eben ein “Original” sei.
Wenn nun Mathias Winks die Leser dazu auffordert, sich zusammen mit ihm darüber zu freuen, dass “man” MC Winkel mal wieder einen Promodeal angeboten habe (und dabei geflissentlich übersieht, dass er selbst diesen eingefädelt hat), ist dies keine Medienkritik, mit der man die tumben Mustererkennungs-Routinen des “Betriebs” bloß stellen will, auch wenn dies gerne bei Kritik angesichts allzu plumper Vermarktungsversuche angedeutet wird. Es ist die diebische Freude des Zukurzgekommenen, für einen Zweibeiner gehalten zu werden, wenn er sich auf die Hinterläufe stellt, auch wenn er weiterhin nur die Reste bekommt. Aber dies immerhin reichlich.
Cem hat völlig Recht. Das Missverständnis scheint darin zu liegen, dass ich “sozial” im soziologischen Sinne verstehe. Soziale Medien sind Medien, über die man nicht diskursiv (Einbahnstraße), sondern dialogisch (Austausch) interagieren kann. Freundschaft ist ein soziales Phänomen, genau wie Feindschaft. Ein nettes Gespräch ist eine soziale Interaktion, ein Krieg auch. Und: Was ist dann eine wirtschaftliche Verwertung anderes als ein soziales Phänomen? Dass Märkte soziale Beziehungen und Konversationen sind, hat nicht Weinberger entdeckt, sondern das hat Georg Simmel um die Jahrhundertwende schon beschrieben.
Die AGSM zielt vor allem darauf, dass diejenigen Leute, die Social Media auf eine professionelle Weise verwenden (wollen), dafür auch Anerkennung bekommen können. Für mich ist nicht die Kommerzialisierung der Blogosphäre die größte Gefahr, sondern Phänomene wie das Heranziehen von Bloggern und anderen Onlinepublizisten als billige (oder Gratis-) Nachwuchskräfte für den Journalismus. Jemand, der gute Texte ins Internet schreibt, sollte dafür und mit diesem Medium Anerkennung finden und nicht erst durch den eventuellen “Aufstieg” in den Print- (vulgo: echten) Journalismus.