29.10.2009 | 19:30 von DonAlphonso

Mein Twitter-Impulsreferat auf den Medientagen München

(damit man wenigstens mal über das reden kann, was gesagt wurde, und nicht über das, was andere glauben, dass es vielleicht gesagt wurde)

Guten Tag,

ich bin gebeten worden, Ihnen unser heutiges Thema nahe zu bringen. Wer mein Metablog “Blogbar.de” kennt, weiss vielleicht, dass ich Twitter nicht gerade zu den zukunftsträchtigen Webservices zähle, und, um gleich die ganze Wahrheit zu sagen: Jenseits des Zeittotschlagens im Internet, des netten Palavers zwischen Freunden, vielleicht noch einem gewissen Herdentrieb, mit dem viele nachplappern, was ein anderer getweetet hat – sehe ich in Twitter keinerlei Bedeutung. Ich mag die Oberflächlichkeit des Mediums nicht, und ich mag den Hype nicht, der um Twitter von Leuten gemacht wird, die schon den gleichen Hype um Blogs, Second Life, Mobloggen, Nachrichtenaggregatoren, Flickr, Delicious, Tumblr, Myspace und was da sonst noch an Zukunftserwartungen war, gemacht haben. Kurz, ich bin vermutlich das genaue Gegenteil von Sascha Lobo, der hier heute stehen und diesen Vortrag halten sollte. Trotzdem will ich versuchen, Ihnen einen möglichst ausgewogenen Blick auf das Phänomen Twitter zu ermöglichen, auf den Hype und auf die Frage, welcher Nutzen daraus gezogen werden kann.

Zunächst einmal zu den Zahlen: Twitter hat unbestreitbar eine enorme Erfolgsgeschichte in den letzten Jahren hingelegt. Die 2006 gegründete Firma hat es trotz Softwareproblemen und häufigen Systemabstürzen geschafft, in Windeseile gerade die sogenannten Early Adopters des Internets für sich zu begeistern. Im ersten Moment mag das überraschen, denn Twitter erscheint nur ein kastrierter Blogdienst zu sein, der keine langen Texte oder übersichtliche Debatten mit vielen Teilnehmern zulässt. Mit Twitter geht nichts, was mit einem Blog nicht auch möglich wäre, aber das Fehlen vieler Funktionen hat dem Erfolg keinen Abbruch tun können: 58,4 Millionen Besucher hat Twitter laut Comscore allein im Internet im September gehabt, und hat damit über das Jahr diese Zahl fast verzehnfacht. Noch deutlicher fallen die Zahlen in Deutschland aus, wo sich mit 1,8 Millionen heute 25 mal so viele Nutzer wie vor einem Jahr tummeln. Gleichzeitig aber hat sich in den USA, dem wichtigsten markt für das Unternehmen, das Wachstum eingependelt – und zwar seit Juni bei Null. Sprich, für jeden, der Twitter neu entdeckt, gibt es einen, der es nicht mehr besucht. Es deutet sich eine gewisse Marktsättigung an, über deren Gründe hier nachher auch noch zu reden sein wird.

Twitter ist dennoch in Deutschland ein Wachstumsmarkt mit einer wichtigen Zielgruppe, sagen Berater und, sagen wir mal, technikbegeisterte Journalisten, und bieten gern ihre Hilfen an. Twitter selbst ist gerade wegen der hohen Nutzerzahl eine entsetzlich dezentrale Sache; der Medienpädagoge Thomas Pfeiffer geht aktuell von einer viertel Million aktiver Twitternutzer in Deutschland aus, wobei ein niedriger bis mittlerer zweistelliger Prozentsatz nach ein paar Wochen wieder aufhört, weil es ihnen nicht taugt, und sich ihnen die Faszination der ständigen, tagesbegleitenden Kommunikation mit Freunden nicht erschliesst. Diese Szene ist, wie schon Blogs und soziale Netzwerke, nicht organisiert, sprich, es gibt keine allgemein relevanten Meinungsmacher. Gemeinhin ist Twitternutzern, und hier gerade jenen, die Twitter beruflich nutzen, die Anzahl der sogenannten Follower extrem wichtig. Aber selbst der deutsche Spitzenreiter Sascha Lobo hat nicht mal jeden 10. Nutzer als Follower. Wieviele dieser Follower sich dort eintragen und dann tatsächlich den Äusserungen folgen, ist eine weitere, ungeklärte Frage. In der Diskussion werden Follower oft mit Lesern oder Abonnenten gleichgesetzt – mitunter hat man aber auch den Eindruck, dass hier das selbe eitle Spiel wie in anderen sozialen Netzwerken läuft, wo das Selbstwertgefühl mit der Zahl und Qualität der angeblichen “Freunde” steigt.

Umgekehrt führen die interessierten Kreise an, dass die Follower nicht nur Leser, sondern auch selbst Multiplikatoren sind. Tatsächlich gibt es den Retweet, abgekürzt RT, mit dem Follower Texte und besonders gern interessante Links weitertragen, die ein anderer gefunden hat. Der Umstand, dass mitunter etwas beliebig alles retweetet wird, was nicht bei drei auf dem Offlinebaum ist, mag nicht gerade ein Ausweis an tiefer Weisheit und Überlegung sein, aber es kann den Verlinkten erheblich Besucher und Aufmerksamkeit schenken.

Wieviel das ist? Nun, ich habe das mal bei einem oft von durchaus prominenten Twitternutzern verbreiteten Beitrag ausprobiert. Das Ergebnis war ziemlich ernüchternd: Nicht mal 1% der angemeldeten Follower drückte auf den Link zum Beitrag. Zum Vergleich: Bei Links in meinem Blog folgen zwischen 5 und 20% der Leser dorthin. Aber in Zeiten wie diesen, und angesichts eines Wachstumsmarktes, sind solche Ãœberlegungen vielleicht sekundär, geht es doch sicher auch darum, frühzeitig eine Spitzenposition in diesem neuen Medium zu besetzen. Folglich twittern DAX-Konzerne und PR-Firmen, es brüsten sich dort freie Berater, und Spammer schmieren alles voller Links zu Viagra und Penisvergrösserungen. Mit Dell behauptet eine Computerfirma mittlerweile, dank Twitter Millionenumsätze zu machen – auch wenn nicht klar ist, ob die über Twitter von Sonderangeboten informierten Follower nicht auch ohne Twitter einen verbilligten Dell gekauft hätten. Von Beratern unterstützt, wollte Vodafone mit einer grossen Twitteroffensive wollte Vodafone zeigen, wie man damit kommuniziert – es nicht ging gut, wie gesehen man hat.

Man sieht also: Twitter ist eine reichlich esoterische Angelegenheit. Man kann darin die Zukunft der schnellen Internetkommunikation sehen und auf die Chancen besonders bei der mobilen Verbreitung hinweisen, man kann PRler träumen lassen, direkte Gespräche mit potenziellen Kunden zu führen, ganz hinunter auf die zwischenmenschliche Ebene zu kommen, oder gar andere zu Followern seiner Firma zu machen, die dann kostenlos als Werber agieren und die Firma ihren Freunden empfehlen. Mit Twitter, so die Legende, werden Nachrichten schneller, angefangen beim Flugzeugabsturz in den Hudson über die vorschnell gezwitscherten Wahlergebnisse oder die Geschmacklosigkeiten, mit denen Reporter eines gewissen Magazins nach dem Amoklauf von Winnenden ihren Gossenhumor unter Beweis stellten. Kurz, alles scheint möglich zu sein, und das wäre alles ganz famos –

Hätte man das alles nicht auch schon über eben jene Blogs gesagt, die gerade ein wenig von Twitter kannibalisiert werden. Denn auch schon vor 6, 7 Jahren hiess es, Firmen und Zeitungen müssten bloggen, um teilzuhaben, um einen Fuss in die Tür zur jungen Zielgruppe zu bringen. Mit Blogs könne man prima PR machen und schnell informieren. Und so legten Firmen wie Sun und IBM ihren Mitarbeitern Blogs ans Herz, Firmen und Medien zogen hastig Blogs hoch und füllten sie mit dem, von dem sie dachten, es käme gut an. Gebracht hat es so gut wie nichts, GM ging trotz Blog pleite, und auch Kündigungen werden nicht schöner, wenn sie, wie etwa bei der WAZ, öffentlich verblogt werden. Erfolgreiche Blogs, ganz gleich ob journalistisch oder als Corporate Communication, blieben die Ausnahme. Gleiches gilt auch für Zeitungen, Produktinformationen und Pressekonferenzen bei Second Life. Insofern ist es, sagen wir mal, mutig von den üblichen Beratern, heute Twitter mit den gleichen Argumenten als Kommunikationskanal anzupreisen, die schon früher bei Blogs und Co. nicht funktioniert haben. Dass es Ausnahmen gibt, will ich an dieser Stelle keinesfalls bestreiten, bitte Sie aber zu bedenken, dass diese meine Zweifel von einem der wenigen deutschen Blogger vorgetragen werden, der von seiner Bloggerei leben könnte.

In meinen Augen gibt es rund um Twitter zwei Kernfragen, an denen sich das Schicksal des Hypes entscheiden wird. Da ist zum einem die Frage, ob es Twitter heraus schafft aus der Blase der Webevangelisten, der Vertreter der neuesten Dinge, der Apostel des Onlineseins. Twitter ist ein Werkzeug, das vor allem von jenen gebraucht wird, die selbstverständlich immer online sein wollen, ein Instrument für digitales Grundrauschen, für den Dauertratsch der immer Erreichbaren – und bitte, noch mal, das hat durchaus seine Berechtigung, keine Frage, man kann sich natürlich auch so durch den Tag kommunizieren, ohne dass man gleich von Twittersucht oder Talkshow-Komplex reden müsste. Dabei ist Internetnutzung aber für viele Menschen immer noch Email, Ebay und T-Online, und gerade solche Menschen tun sich schwer, wenn Themen wie bei Twitter von Ingroups mit eigenen Codes, Riten und Mythen beherrscht werden. Unter Twitternutzern gilt Twitter als einzigartig; warum das so ist, wird kaum erklärt, und an einem Dauerleben im Netz und seinen Reizen wird nicht gezweifelt. Auf dem Wochenmarkt in meiner Heimatstadt fände man es dagegen durchgeknallt, jeden gekauften Kürbis dem Netz mitzteilen. Wenn Twitter aus der Nische der Internetvorreiter und Spezialisten herauskommen und wirklich bei der breiten Masse ankommen will, sehe ich einen weiten und schweren Weg.

Zum anderen ist das Problem der Übernahme von Twitterfunktionen durch Andere. Es ist nicht schwer, Twitter zu kopieren. Viele meiner Bekannten benutzen lieber identica, und so gut wie jedes bessere Netzwerk baut gerade seine eigenen Twitterfunktionalitäten aus. Damit kommen sie der Faulheit der Nutzer entgegen, die nicht viele Dienste nebeneinander betreiben wollen, und es sieht auch so aus, als wäre gerade Facebook in dieser Sache auf einem guten Weg, hier Twitter den Rang abzulaufen.

Ich persönlich habe den Eindruck, dass Twitter einer dieser periodisch auftretenden Dei ex Machina ist, die versprechen, ohne echten Mehraufwand Verteilungsprozesse im Internet zu beschleunigen. Sprich, da gibt es eine technische Lösung, auf die alle so scharf sind, dass sie in dieser Verpackung bereit sind, alles zu nehmen, was sie darin kriegen. Ich möchte diesen Softwaregöttern sagen: Non credo, nego. Ich glaube nicht, dass die Leser so dumm sind, und ich halte es für ein Zeichen des mangelnden Respekts vor dem Leser zu glauben, dass man ihn mit einem 140-Zeichen-Anreisser schon zum Klicken eines Beitrags bringen kann. Kann schon sein, dass der Klick dann kommt, gezählt wird und an die Werbetreibenden verkauft wird. Aber ich schreibe einzig und allein, um gelesen zu werden, und um einen Diskurs zu haben. Wenn es gut und die Debatte spannend ist, kommen die Leser auch so.

28.10.2009 | 15:37 von DonAlphonso

Retweetet mal schön

#SaschaLobo kommt nicht auf das Twitterpanel der Medientage München http://tinyurl.com/yfnkaq5 #DonAlphonso schon.

26.10.2009 | 11:07 von DonAlphonso

Bayerische Verblendung

Das sind doch wirklich mal Topnachrichten, die die Welt lesen will:

Feuerwehr kippt bei Übung um, Beim Üben ist ein Feuerwehrauto verunglückt. Der Löschtank schlug leck.

Wieder Geldbotin ausgeraubt. Ein Räuber hat in Illertissen der Angestellten eines Getränkemarktes aufgelauert.

Schwede springt auf Autozug auf. Ein Biker hat den Halt seines Autozugs zum Rauchen einer Pfeife auf dem Bahnsteig genutzt. Plötzlich fuhr der Zug wieder los.

Über Nacht waren alle Äpfel weg Dreister Diebstahl: Über Nacht ist in Kaufering ein Apfelbaum abgeernet worden.

Und als Hauptnachricht, ganz gross und mit einem, naja, nicht gerade professionellen Bild unter üblem Blitzlicht:

Abschied aus Violau nach sieben Wochen: Bistum Augsburg trennt sich von Pfarrer Hirsch

Das alles kann man bei der Augsburger Allgemeinen, dem Lokalmatador des Printlertums in der Region Augsburg, im Internet abrufen. Kostenlos. Laut Andreas Scherer, dem Geschäftsführer der Presse-Druck- und Verlags-GmbH (Augsburger Allgemeine) und Vorsitzender des Verbandes Bayerischer Zeitungsverleger, würde die Regionalberichterstattung jedoch damit “exklusive Inhalte” bieten, was ich gerne zu glauben bereit bin, denn allzu oft wird man vom abgeräumten Apfelbaum in Kaufering nicht reden. Andreas Scherer jedoch gab anlässlich der diese Woche stattfindenden Medientage zu erkennen, dass er mit solchen Nachrichten Kasse machen möchte: “Es ist aber nur fair und richtig, diejenigen Online-User, die unsere Qualitätsinhalte kostenfrei genutzt haben, an unseren Aufwendungen zu beteiligen.”

Gestern habe ich das Interview gelesen, und bis heute kam keine Nachricht, dass die bayerischen gegen Andreas Scherer geputscht hätten, wegen offenkundiger Verblendung etwa und mangelnder Einsicht in die Möglichkeiten solcher Lokalblättchen. Generell kann man diesen Leuten also nur wünschen, ihre Portale zum Thema Apfelklau nur gegen Gebühr (neudeutsch Flatrate) zu öffnen – sie werden ja sehen, wo sie mit ihren einzigartigen Exklusivnachrichten hinkommen. Aber nur, falls sich jemand wurndert, wieso es deutschen Verlagen so dreckig geht: Es ist diese unsägliche Haltung, dieses komplette Negieren der Realität, dieses Weiterwurschteln wie in den 70er Jahren, das denen alle Chancen verbaut. Dann nach einem Leistungsscgutzrecht zu schreien: Glauben die wirklich, dass sich eine alte Sau für abgeräumte Apfelbäume interessiert?

8.10.2009 | 10:21 von DonAlphonso

Reichlich unbemerkt

(oder geht das nur mir so?) hat Robert Basic einen Zwischenbericht über Buzzriders, dieses blognahe, lokale, hyperlokale the next big thing geschrieben, von dem man ab und zu nicht mehr viel gehört hat:

http://blog.buzzriders.com/2009/10/02/ist-stand-buzzriders-teil-1/
http://blog.buzzriders.com/2009/10/02/ist-stand-buzzriders-teil-2/
http://blog.buzzriders.com/2009/10/04/ich-bin-ein-spinner/

Ich bin nach solchen Ankündigungen inzwischen etwas uneuphorisch, nachdem die letzten Ankündigungen nur die Möchtergen-Huffingtons von Varta.info und ihrer Bildklauerei oder das sie ähnlich unschön ergänzende “The European” hervorgebracht haben. Zwei relevanzlose Selbstbeweihräucherungshaufen typisch Berliner Art mit einigen Autoren, bei denen ich mich frage, wieso sie sich als Journalisten bezeichnen, und ob ihnen das angesichts ihres Mainstreamgeschwalles nicht etwas peinlich ist. Die einen sogar mit Advertorial der INSM. Debattenportale, sagen sie. Relevante Stimmen, angeblich. Resteverwertung, finde ich. Es gibt einfach zu viele Journalisten.

Als es mit den Blogs losging, habe ich noch erwartet, gehofft, dass manche Journalisten die gelegenheit nutzen und ihr eigenes Ding machen, in dem sie zeigen, wie gut sei sein können. Inzwischen habe ich dank Carta und European die Antwort. Und ich hoffe, ich wünsche mir, dass die Antwort bei Buzzriders nicht ganz so enttäuschend ausfällt, so es denn je kommt.

2.10.2009 | 12:05 von DonAlphonso

Neues vom Zensurprovider Vodafone

Einerseits macht sich der in der Blogosphäre durch Werbeschaltungen und entsprechende Zahlungen an Leute wie Sascha Lobo, Johnny Häusler, Stefan Niggemeier et. al. bekannte Telekommunikationsanbieter mit neuen Einfällen zur effektiven – und gesetzlich so nicht mal notwendigen – Sperrmassnahmen im Internet den Namen, den er bei seinen Werbepartnern nicht hat – und, kleine Ironie am rande, jusatment zu der Zeit, da man bei den deutschen Bloggern Werbung schaltete:

Die German Privacy Foundation hat herausgefunden, dass Vodafone bereits seit Juli 2009 allen Traffic auf den TCP- und UDP-Ports Port 53 zu seinen eigenen in Kürze zensierten DNS-Servern umleitet. Das gilt zunächst nur für das UMTS-Netz. Es ist davon auszugehen, dass andere Provider diesem “Test” folgen werden. Demnach wird jeder, der einen alternativen DNS-Server in seiner Konfiguration eingetragen hat, von Vodafone mit gefälschten Informationen versorgt. Diese Fälschung des Internetverkehrs geht weit über die staatlich verordneten DNS-Fälschungen des Internetzensurgesetzes hinaus. Vodafone scheut nicht davor zurück, den IP-Verkehr mit einem anderen Knoten im Internet zu unterschlagen und dem Anwender eine eigene Antwort mit gefälschtem Absender zu senden.

Jaja, das sind so die Sachen, die man auf den hübschen Plakaten und im Spot natürlich nicht zu hören bekommt (und auch nicht bei den davon profitierenden Bloggern). Wir dürfen an dieser Stelle der Vermutung Ausdruck geben, dass man von solchen Ideen in der kommenden Legislaturperiode noch so einiges hören wird. Auf der anderen Seite will Vodafone natürlich nicht nur für Freundschaften mit Bloggern zahlen, nein, sie wollen natürlich auch was davon bekommen. Nicht anders ist es zu erklären, dass für neue, su-per-schicke Vodafone-Apps, die die Leute dazu bringen sollen, nur ja bei Vodafone zu beiben und dort ihr Verbindungsentgelt zu lassen, nun auch Blogger gefragt werden, ob sie denn so nett wären, dafür ihre Inhalte zur Verfügung zu stellen:

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir haben uns Ihre interessante Webseite angeschaut und dabei entdeckt,
dass Sie auch einen öffentlichen RSS-Feed dazu anbieten.

Vodafone möchte seine Kunden motivieren, das Handy mehr als einfachen
Zugang zum Internet zu verstehen, als dies zurzeit noch der Fall ist.

Dafür entwickeln wir gerade ein größeres Programm, in dessen Rahmen wir eine
Reihe von Webseiten gerne promoten würden, die die Vielfalt des Internets gut zeigen.

Da wir Ihre Webseite inhaltlich passend für dieses Programm finden, haben wir sie
mit aufgenommen und online auf http://widget.vodafone.com/de/widgets/blogname
vorübergehend testweise gestellt. Die Promotion der Seite startet voraussichtlich Ende Oktober.

Der Vorteil für Sie ist eine größere Verbreitung Ihrer Inhalte, da ganz neue, mobile
Internetnutzer den Weg zu Ihrer Webseite leicht finden können.

Für Sie entstehen keine Kosten oder Verpflichtungen und können jederzeit einfach per Mail
unserem Angebot widersprechen. Dann würden wir sofort das Programm entsprechend anpassen.
Sollten Sie besondere Wünsche bezüglich Ihres Logos und der Beschreibung haben, werden wir sie gerne berücksichtigen.
In der beigefügten Pdf-Datei haben wir für Sie die wichtigsten Informationen anschaulich zusammengestellt.

Wir freuen uns über Ihre hoffentlich positive Rückmeldung und verbleiben
mit besten Grüßen,

Das ganze hatte gleich auch noch ein “Partnerbriefing” im Anhang.

Heiss, nicht? Wie liebreizend! Erst mal aufnehmen und dann erst nachfragen! Das Netz zensiert man, dafür holt man sich bei den Bloggern, was man bei sich im eigenen Netz präsentieren will, weil: Eigene Inhalte kosten ja nur, da kann man ja mal andere fragen, ob die nicht was zu verschenken haben. Supi! So rollt der Rubel in die richtige Richtung! Irgendwoher muss man ja das Geld verdienen, mit dem man das Wohlverhalten deutscher Bloggrössen natürlich nicht einkauft, ach was, das ist alles ganz normal und passt schon irgendwie.

12.9.2009 | 0:05 von DonAlphonso

Mal wieder: Pro

Seit über einem halben Jahr bin ich jetzt das, was man vielleicht als Pro-Blogger bezeichnen kann. Ich schreibe ein Blog bei der FAZ, und praktisch nichts anderes, obwohl es kein Problem wäre: Nur muss ich gestehen, dass mir das Verfassen meiner Blogbeiträge mehr Spass als Print macht. Ich denke, das merkt man auch, denn anders sind die reichlich eintrudelnden Kommentare nicht zu erklären. Und das, obwohl ich professionell journalistisch davor eigentlich fast ausschliesslich im Radio und vor allem im Print gearbeitet habe.

Ich habe mich auf dieses Projekt aus diversen Gründen eingelassen, von denen der Aspekt Geld eine ziemlich kleine Rolle spielt; mir stehen in anderen Bereichen andere Möglichkeiten zum Broterwerb offen, aber für den Spass und die Freiheit, die ich beim Bloggen habe, nehme ich die – für Journalisten einwandfreie, für die anderen Sektoren eher maue – Bezahlung gerne und freudig in Kauf. Der Grund, warum ich eigentlich zugesagt habe, war sportlicher Natur: Ich habe an der Blogbar immer behauptet, ich wüsste, wie man so ein Profiblog machen könnte, dass es gut ankommt. 114 Beiträge zu einem eher speziellen Thema, 10438 Kommentare und 5 Abwerbeversuche später kann ich das nicht nur behaupten. Ich glaube, ich weiss inzwischen auch, wie man ein Blog erfolgreich machen kann, ohne sich – wie etwa hier – dauernd mit Internetthemen und Medien auseinanderzusetzen. Es gibt nicht so viele Verlinkungen her, weil es die reinen IchmachmedienundInternetblogger nicht anspricht – aber wenn ich ehrlich sein darf: Diese Leute sind irrelevant, und wenn sie nun Manifeste unterschreiben, geben sie das indirekt auch zu. Ich halte meine Plaudereien bei der FAZ für genauso irrelevant, und es macht mir auch nichts aus. Wenn ein Diskurs über Themen entsteht, und nicht darüber, wie man ein Medium für Themen nutzt, ist schon viel gewonnen.

Ich glaube sogar, es gibt einen Markt für Irrelevanz. Das ist ein wenig so wie an der Börse, wo alle jubeln, wenn die an sich rein spekulativen Kurse steigen, und alle weinen, wenn sie fallen. Beides hat aber seine Berechtigung, das Steigen und Fallen, die Relevanz und die Irrelevanz. Zumal Medien und viele Blogs genau auf dieser Relevanzschiene fahren, egal wie sehr es darunter im Gleisbett bröckelt. Ich glaube, dass Blogs mit ihrer an sich sehr freien und mitunter überlangen Form ganz hervorragend für Irrelevanz geeignet sind, und man mitunter auch froh ist, wenn man unter all den Relevanzbrüllern etwas hat, bei dem man nicht gleich in eine gewisse Wahrnehmungsrichtung gedrängt und geschubst wird. Amüsanterweise ist es das irrelevanteste aller Themen gewesen, das nach den Extremaufregern Gewaltspiele und Ikea – ab und an schreibe auch ich über das relevante Problem des überall anzutreffenden Drecks – eine vollkommen veraltete Höflichkeitsgeste, die die meisten Reaktionen hervorgerufen hat. Es gibt bei der FAZ unendlich viel relevantere Themen, die keinen Diskurs nach sich ziehen.

Natürlich muss man das mit der Irrelevanz auch können, sprich, die Irrelevanz zum Klingen bringen, erzählen, formulieren, anregen, unterhalten. Irrelevanz allein ist genauso dumm wie Relevanz, und das sieht man nicht nur an Zilliarden Myblogs, sondern auch bei genügend
Profiblogs, etwa bei derwesten. Angesichts der diversen Versuche, sich gerade Relevanz anzumassen und zuzusprechen und das Internet auf die eigene Linie einzuschwören und dann relevante Manifeste einzubringen, die erklären, wie man relevant wird, ist diese meine Auffassung nur eine Minderheitenmeinung – mit dem kleinen Problem für die Relevanten, dass sie “funktioniert”, dass sie trotz oder gerade wegen der Irrelevanz einen relevanten Diskurs nach sich zieht.

Und natürlich lerne ich auch noch beständig dazu, ich habe keine Ahnung, ob das so stimmt und andere Dinge nicht alles viel besser machen könnten; schliesslich beziehe ich mich selten auf andere und verlinke auch kaum, ich mache das Blog kaum vernetzt und schreibe viel zu lange Texte und Sätze. Vielleicht wäre es im Bildformat erheblich erfolgreicher, vielleicht könnte es ein anderer sehr viel besser, vielleicht bräuchte ich auch mal so einen tollen Berater, der zwar selbst kein funktionierendes Blog hat, aber eine durchdachte Erfolgsstrategie.

Kann sein. Aber es geht auch so. Gar nicht so schlecht, und besser als vieles andere. Nicht wegen mir, denke ich, sondern weil Plattform, Blog, Autor und Leser zusammenpassen, und die Relevanz beiseite lassen. Deshalb macht es Spass, Pro-Blogger zu sein, und es fühlt sich ziemlich normal und nett an.

10.9.2009 | 13:39 von DonAlphonso

Wie man sich im Hause Burda bei Bloggern bedient

Es ist heute unter Verlegern ja sehr schick zu jammern, dass Google von den Inhalten der Verlage profitiere und deshalb einen Teil des Werbegeldes den Verlagen zu geben hätte. Das nennen sie Leistungsschutz, und Politiker winseln da zu ihren Gunsten, schliesslich ist gerade Wahlkampf, da will man es sich mit den Verlagsbossen nicht verscherzen. Hubert Burda ist da so etwas wie ein Wortführer, auch wenn andere – wie ich – eigentlich denken, dass Herr Burda der Sache am Dienlichsten wäre, wenn er zusammen mit Frau Springer den gesammelten Müll seines Hauses aus dem Internet nehmen würde. Die Werbeborstenviecher an seinem Digital-Lifestyle-Days-Trögen sehen das vielleicht anders, aber bitte, jeder, wie er mag.

Wie man jedoch in diesem Verlag selbst mit den Leistungen anderer Leute umgeht, sieht man allerdings bei Mary, die das Blog Stil in Berlin betreibt. Bei dem hat die verblichene “Young” aus dem Hause Burda neun Bilder ohne Erlaubnis übernommen, ein Betragen, das man ansonsten vielleicht eher von Klitschen wie Carta von Robin Meyer-Lucht kennt. Das folgende Drama mit Angeboten halbschariger Art, Verzögerung und letztlich dem Gerichtstermin kann man bei Mary selbst nachlesen.

Nur falls jemand mal sehen will, was das Leistungsschutzrecht dessen lauten Forderern tatsächlich bedeutet.

9.9.2009 | 9:06 von DonAlphonso

Die verhinderten Blog-Verbandsfunktionäre

Nochmal zu diesem 17-Punkte-Manifest der 15 “zentralen Eckpfeiler” der deutschen Internetlandschaft: Da tut sich momentan ja so einiges. Die Macher haben den Entwurf ins Englische übersetzt, dort aber über die Nacht angelaufene Kritik gelöscht. Eine ganze Reihe von Unterzeichnern versuchen gerade auf mehreren Schauplätzen, die reichlich negative Debatte einzuschränken, etwa hier: Man fühlt sich falsch verstanden, man sieht sich bösartiger Kritik ausgesetzt, die Leute sehen nicht den richtigen Hintergrund anderer Erklärungen, wie etwa der von Herrn Burda, es wende sich ja gar nicht an Blogger, man musste einen Formulierungskompromiss finden, und so weiter.

Die spannende Frage ist meines Erachtens nicht, was das Manifest sagen soll – es erklärt sich in gewisser Weise von sich selbst – sondern was die beabsichtigten Folgen waren.

Ich mein: Niemand schreibt sowas, setzt sich als Erstunterzeichner drunter und ist froh, wenn er es mal gesagt hat. So ein Manifest ist immer nur der erste Schritt. Luthers Thesen -> Reformbewegung in der Kirche. Kommunistisches Manifest -> Parteigründung. Internet-Manifest -> schön, dass wir darüber geredet haben? Bei den Teilnehmern, die grösstenteils mit Journalismus wenig, aber mit Internetkommerzialisierung zu ihren eigenen Gunsten sehr viel zu tun haben?

Und da muss ich schon sagen: Schande über die Unterzeichner. Es ist ja sicher keine schlechte Idee, so ein Konzept mal zu testen und sich dann, wenn alle JA! schreien, sich auf das Schild heben zu lassen. Zumal der Ruf nach einer Standesvertretung ja auch kein ganz dummer ist, und Medien in einer Debatte auch Ansprechpartner wollen, die nicht nur der olle Nigge mit dem leeren Bildblogbüro sind, der Meyer-Lucht mit dem Möchtegern-Huffpost und dem Problem beim Urheberrecht, der Grimmejury-Sixtus mit dem Grimmepreis, oder der Fassaden-Iro mit der Kohle eines Zensurproviders, sonden halt: Robin-Sascha Bunz v. Niggeschinkstegersdahl, Vorsitzender der Internetgewerkschaft Mittelalte Adabeis Für Internet Angeberei M.A.F.I.A. e.V..

Aber wenn man sowas schon als Hintergedanken hat, kann man das auch mal zugeben.

Es gibt bei der ganzen Geschichte übrigens zwei Arten von Kommunikation: Die offene, die im Internet spielt, und die Hintenrumdebatte, bei der gerade Risse sichtbar werden, man kündigt in der zweiten Reihe Freundschaften, man verucht, die Debatte in den Griff zu bekommen, und das alles hat meines Erachtens vor allem das Ziel, die nervige Diskussion auf den eigenen Seiten so kanalsisiert zu bekommen, dass man sie als konstruktive Kritik am eigenen Handeln verkaufen kann, dann in eine Suche nach einer gemeinsamen Plattform übergeht, die nicht so brutal zerpflückt wird, und dann sagt: Hey, wie wäre es mit einem Verein?

Ich weiss nicht, ob die noch so dreist sind, das jetzt noch zu versuchen, nachdem sich deutlich gezeigt hat, wie schlecht, wie qualitätslos dieser Aufruf war. Ich könnte es mir trotzdem vorstellen. Ob das Ding dann von “dem Internet” legitimiert ist, oder als Witz gesehen wird, dürfte den Machern dann egal sein, denn für die Medien und Talkshows und Jurys, denen man sich andient, ist das eher egal. Es gibt nicht mehr viele Möglichkeiten, so etwas anzustossen, denn nach 5 Jahren Bloggerei und Kommerzialisierungsversuchen der Beteiligten verschwinden langsam die sonstigen Optionen. Das, was man im Manifest vorstellt, hat man schon lange selbst eher erfolglos versucht. Und nachdem es als Journalist, Webunternehmer, Werbevermarkter. PRler und Politikberater nicht geklappt hat – bleibt einem immer noch der gute, deutsche Verbandsfunktionär.

Wenn es doch so weit kommen sollte: Ich wette, dass der Sixtus der designierte Chef von dem Ganzen sein wird.